Was bringen Zahnspangen und Co.?

Berlin – Zahnspangen und der regelmäßige Gang zum Kieferorthopäden sind für Millionen Familien Alltag – doch der medizinische Langzeitnutzen ist einem von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten zufolge nicht ausreichend belegt.

Das Berliner IGES-Institut hat verschiedenen Studien ausgewertet und kommt zu dem Schluss, diese ließen «keinen Rückschluss auf einen patientenrelevanten Nutzen» von kieferorthopädischen Behandlungen zu. Das Ministerium von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will mit Beteiligten nun über «den weiteren Forschungsbedarf und Handlungsempfehlungen» sprechen.

Was sagen bisherige Studien?

Zuerst hatte die «Bild»-Zeitung über die mehr als 100-seitige Meta-Studie berichtet, die bereits vorliegende Studien und Daten vergleicht. Demnach belegen diese Studien zwar Erfolge bei der Korrektur von falsch stehenden Zähnen und positive Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patienten. Aber die langfristige Auswirkung etwa auf Zahnausfall, das Karies-Risiko oder Parodontitis seien bisher nicht oder zu wenig untersucht worden.

Ein Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte, dass das Ministerium nicht an der Notwendigkeit kieferorthopädischer Leistungen zweifle. Dass Zahnspangen Probleme wie Karies, Parodontitis oder Zahnverlust verringern, könne zwar nicht belegt werden, sei aber der Untersuchung zufolge auch nicht ausgeschlossen. «Prinzipiell bewertet den Nutzen einer Therapie nicht der Gesetzgeber», hieß es weiter.

Medizinischer Nutzen nicht ausreichend erforscht

Kieferorthopädische Behandlungen kosten die gesetzlichen Krankenkassen viel Geld – 1,115 Milliarden Euro waren es 2017. Dem Gutachten zufolge stiegen die Kosten zuletzt von Jahr zu Jahr an, obwohl die wichtigste Zielgruppe – Kinder und Jugendliche von 10 bis 20 Jahren – kleiner werde.

Die verschiedenen Daten zu den Behandlungskosten seien aber nur eingeschränkt vergleichbar, heißt es in der Studie. «Auf Basis der Daten kann daher nicht beurteilt werden, ob die Ausgaben in der kieferorthopädischen Versorgung den Kriterien der Wirtschaftlichkeit genügen.» Im Frühjahr hatte bereits der Bundesrechnungshof eine unzureichende Erforschung des medizinischen Nutzens kieferorthopädischer Behandlungen wie etwa Zahnspangen bemängelt.

Was übernimmt die Krankenkasse?

Welche
Leistungen der medizinischen Versorgung von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden, legt der sogenannte
Gemeinsame Bundesausschuss fest. Darin sind Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen vertreten. Eine kieferorthopädische Behandlung wird bis zum 18. Lebensjahr von den gesetzlichen Kassen übernommen, wenn Beißen, Kauen, Sprechen oder Atmen durch die Zahnstellung erheblich beeinträchtigt sind oder beeinträchtigt zu werden drohen. Ab dem 18. Lebensjahr zahlt die Krankenkasse nur bei schweren Kieferanomalien.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) teilte mit, er habe schon früher darauf hingewiesen, dass die Forschungslage «relativ dünn» sei. Für eine objektive wissenschaftliche Prüfung brauche es aufwendige klinische Studien mit korrekt gebildeten Vergleichsgruppen. Der GKV-Spitzenverband werde prüfen, «ob ein Antrag zur Nutzenbewertung kieferorthopädischer Leistungen im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) sinnvoll ist», teilte eine Sprecherin mit. Abhängig vom Ergebnis könnten dann gegebenenfalls die Leistungen angepasst werden.

Es fehlen statistische Daten

Am Anfang der Behandlung steht meist der Zahnarzt, der feststellt, dass etwas nicht stimmt, und an den Kieferorthopäden überweist. Als Beispiel nannte der Vorsitzende des Berufsverbands der Deutschen Kieferorthopäden, Hans-Jürgen Köning, etwa Probleme beim Sprechen, weil Zähne nicht richtig stehen. Teils beginne die Behandlung schon bei Vierjährigen. Eine Statistik, wie viele Menschen in Behandlung seien, gebe es nicht – und auch die Kosten seien von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Eine aktive Behandlung dauere meist 1,5 Jahre, die Nachsorge gehöre aber auch dazu. Die Rede ist oft davon, dass etwa jedes zweite Kind in Deutschland mal eine Zahnspange trägt.

«Wir haben keine Untersuchung, die sagt, wenn du nicht behandelt wirst, dann kriegst du zu soundsoviel Prozent Kiefergelenksbeschwerden, kannst später nicht kauen, verlierst deine Zähne früher», sagte Köning der Deutschen Presse-Agentur. «Es fehlen uns die unbehandelten Kontrollgruppen.» Zahnpflege, regelmäßige Zahnarztbesuche und anderes wirke ebenfalls auf die Zähne ein.

Ziel sei bei jedem Patienten ein gut funktionierendes Gebiss, erklärte Köning. Dann sei auch die Form in Ordnung, dann sehe es gut aus. «Die ästhetische Korrektur ist in der Kieferorthopädie einfach ein Nebenprodukt.» Eine rein ästhetische Behandlung, etwa das Beseitigen einer Lücke zwischen Schneidezähnen, müsse ein Patient selbst zahlen. Daten dazu gebe es nicht.

Fotocredits: Stephanie Pilick
(dpa)

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Mediziner