Zürich – Sehen können Neugeborene kaum – hören aber schon sehr gut. Und das ist auch gut so. Denn das ist der erste Schritt zur Sprache. Deshalb gibt es in Deutschland schon für die Kleinsten einen Hörtest. Doch was, wenn das eigene Kind damit Probleme hat?
Dann ist das noch kein Grund zur Panik: Bei rechtzeitiger Behandlung lassen sich viele Hörschäden ausgleichen, sagt Dorothe Veraguth. Sie leitet die Abteilung Audiologie der Klinik für Ohrenchirurgie am Universitäts-Spital Zürich.
Wie wichtig ist gutes oder richtiges Hören für Kinder?
Dorothe Veraguth: Nur wer gut hört, kann auch eine normale Lautsprache entwickeln. Gerade in den ersten zwei Lebensjahren ist das sehr wichtig. Denn die Verbindung vom Ohr zum Gehirn, die dann das Gehörte in formbare Sprache übersetzt, entwickelt sich in dieser Zeit erst. Wenn ein Kind nicht hört, funktioniert diese Entwicklung nicht.
Wie merkt man denn überhaupt, ob ein Baby richtig hört?
Veraguth: Das ist bei ganz kleinen Kindern natürlich schwierig. Deshalb gibt es in Europa und den USA etwa seit 1999 ein allgemeines Hörscreening, bei Neugeborenen schon. In Deutschland erfolgt das zum Beispiel im Rahmen der normalen Vorsorgeuntersuchungen. Dabei wird eine Sonde ins Ohr geführt, die einen Ton aussendet. Funktioniert das Gehör normal, sollte der Ton im Ohr ein Echo verursachen – und dieses Echo können wir wiederum messen.
Und wenn das Hörscreening erfolgreich ist, können Eltern davon ausgehen, dass mit dem Gehör ihrer Kinder alles in Ordnung ist?
Veraguth: Erstmal ja. Es ist natürlich möglich, dass später noch ein Hörschaden entsteht – durch Verletzungen etwa oder durch eine Mittelohrentzündung, die zu spät erkannt oder ungenügend behandelt wird. Und natürlich ist es wichtig, dass Kinder nicht übermäßigem Lärm ausgesetzt sind, lauter Musik aus Kopfhörern etwa. Das ist aber oft erst bei etwas älteren Kindern ein Thema.
Ist das Kindergehör empfindlicher, wenn es um Lärm geht?
Veraguth: Eigentlich nicht. Es kann aber sein, dass die Kinder nicht so gut darin sind, das selber zu regulieren – weil sie zum Beispiel nicht merken, dass Musik gerade ihre Schmerzgrenze überschreitet.
Sie engagieren sich vor allem gegen Hörschäden in Entwicklungsländern. Ist das Problem da größer?
Veraguth: Ja, definitiv. Zum einen, weil es noch keine umfassenden Hörscreenings gibt und weil die medizinische Versorgung schlechter ist, bei Mittelohrentzündungen etwa – deshalb werden Schäden oder Gefahren oft zu spät erkannt und dann auch nicht behandelt. Und selbst wenn Schäden erkannt werden, fehlt es oft an Zugang zu der Technik, um sie zu behandeln. Und die gesellschaftliche Einstellung zu Kindern mit Hörschäden ist oft eine andere – die Kinder werden dann eher zu Hause versteckt und nicht in die Schule geschickt.
Wie gut sind denn die Behandlungsmöglichkeiten bei früh entdeckten Hörschäden?
Veraguth: Die Möglichkeiten sind inzwischen sehr gut. Babys bekommen heute schon sehr früh Hörgeräte – oder Implantate bei schweren Hörschäden. Das Ziel ist heute, dass das schon vor dem ersten Geburtstag passiert. Und dann sind die Aussichten auf eine gute Entwicklung einer normalen Lautsprache sehr gut. Diese typische Schwerhörigensprache, bei der zum Beispiel die Konsonanten nicht ganz richtig geformt werden, entwickelt sich dann oft nicht mehr.
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(dpa/tmn)