Berlin – Die meisten Notaufnahmen an deutschen Krankenhäusern sind nach einer neuen Studie der Kassenärzte kaum ausgelastet. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht erheblichen Reformbedarf, insbesondere bei Häusern mit kleineren Notaufnahmen.
Denn geringere Erfahrung des Personals sowie schlechtere Technikausstattung führten hier zu höheren Risiken für Patienten. Nach der Untersuchung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) werden im Durchschnitt rund 1,7 Patienten pro Stunde in der Notaufnahme eines Krankenhauses behandelt.
«Wenn es um Leben und Tod geht, ist die Versorgung in den großen Notaufnahmen erheblich besser», erläuterte Institutsgeschäftsführer Dominik von Stillfried und verwies auf Untersuchungen in den USA. Dort zeigten sich bei Notaufnahmen mit weniger als 2,3 Patienten pro Stunde (20 000 Patienten pro Jahr) die höchsten Sterblichkeitswerte. In Deutschland behandelten aber nur knapp ein Drittel der Notaufnahmen mehr als zwei Patienten pro Stunde.
KBV und Marburger Bund (MB), die Gewerkschaft der zumeist in Kliniken angestellten Ärzte, hatten vor zweieinhalb Monaten ein Reformkonzept für eine integrierte Notfallversorgung der rund 150 000 Praxisinhaber und der knapp 2000 Kliniken vorgelegt. Dazu müssten die Bereitschaftsnummer der Praxisärzte 116117 und die bisherige Notrufnummer des Rettungsdienstes 112 stärker vernetzt werden. Patienten sollten dann bei einer gemeinsamem Anlaufstelle rund um die Uhr anrufen können und eine qualifizierte Ersteinschätzung ihrer gesundheitlichen Probleme nach bundesweit einheitlichem Standard bekommen. Danach werde entschieden, wie behandelt werden müsse.
Mit dem Durchschnittswert von weniger als zwei Patienten pro Stunde liege Deutschland weit unter europäischen Vergleichswerten, so die
Studie weiter. In England etwa werden demnach 11, in Dänemark 10 Patienten pro Stunde in Krankenhausnotaufnahmen behandelt. Das Zentralinstitut untersuchte die Auslastung von Krankenhausnotaufnahmen in den Bezirken von 13 Kassenärztlichen Vereinigungen.
Stillfried erläuterte weiter: «In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, als seien die Notaufnahmen sämtlich überlaufen. An einigen Standorten mag das durchaus der Fall sein, generell kann jedoch keine Rede davon sein.» Er fügte hinzu: «Gemessen an Referenzwerten aus internationalen Studien, behandeln die meisten Notaufnahmen im Schnitt so wenige Patienten, dass hierdurch erhöhte Risiken für Patienten bestehen.»
Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Georg Baum, hielt dem entgegen, die Meldung der KBV, «wonach Patienten in Notfallambulanzen von Krankenhäusern aufgrund geringer Behandlungszahlen gefährdet seien, ist für eine ärztliche Organisation hochgradig befremdend».
Baum unterstrich seinerseits: «Würde der ambulante Bereitschaftsdienst durch die niedergelassenen Ärzte funktionieren, müssten nicht zehn Millionen Patienten die Kliniken zu ambulanten Notfallbehandlungen aufsuchen. Über drei Millionen dieser Fälle könnten ohne Probleme von den – technisch und personell zwar nicht wie Krankenhäuser ausgestatteten – Notfallpraxen versorgt werden.»
Der Vorstandsvorsitzende der KBV, Andreas Gassen, appellierte dagegen an die Krankenhausgesellschaft, von ihrem Standpunkt abzurücken, alle Notaufnahmen um jeden Preis erhalten zu wollen. Er unterstrich aber auch, Patienten, die «echte» Notfälle seien, müssten an allen Krankenhäusern versorgt werden können. «Uns geht es vor allem um die Patienten, die eben keine Notfälle sind, sondern eigentlich im
Bereitschaftsdienst behandelt werden könnten.»
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte: «Der Streit zwischen den Kassenärzten und den Krankenhäusern nervt. Jetzt zieht die KBV eine Studie aus dem Hut, um das Netz an Notaufnahmen auszudünnen. Doch der Ärzteverband sagt nicht, wie die Kassenärzte endlich ihrem Sicherstellungsauftrag nachkommen wollen.» Denn 57 Prozent der Patienten in Berlin haben laut Brysch vor dem Gang in die Notaufnahmen vergeblich Hilfe bei einem niedergelassenen Arzt gesucht.
Fotocredits: Holger Hollemann
(dpa)