Wie gefährlich ist Feinstaub wirklich?

Berlin – Eine neue Studie könnte die Debatte um Luftschadstoffe im Straßenverkehr erneut anheizen. Feinstaub und Ozon in Deutschland verursachten pro Jahr etwa 43.000 vorzeitige Todesfälle, schreibt die Umweltforschungsorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT).

13.000 davon seien auf den Verkehr zurückzuführen, teilte der ICCT mit. Das entspreche rund 17 vorzeitigen Todesfällen pro 100.000 Einwohner. Die Zahl liege etwa 50 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Andere Studien kamen in der Vergangenheit allerdings zu deutlich höheren Zahlen.

Umweltschützer fordern schon lange schärfere EU-Grenzwerte für Feinstaub. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, in der EU gelten 25.

Weltweit sterben dem
ICCT-Bericht zufolge jährlich rund 3,4 Millionen Menschen an Luftschadstoffen – und zwar durch Schlaganfall, Herz- und Lungenkrankheiten sowie Diabetes. Feinstaub und Ozon aus dem Verkehrsbereich seien im Jahr 2015 Ursache von 385.000 dieser Todesfälle gewesen. Feinstaub entsteht auch durch die Landwirtschaft, durch Kraftwerke, Fabriken und Heizungen. Bei Feinstaub aus dem Verkehr spielen neben dem Verbrennungsprozess in Motoren auch der Reifenabrieb oder aufgewirbelter Staub eine Rolle.

Der ICCT mit Sitz in Wilmington (USA) forscht zur Fahrzeugtechnik und ihren Auswirkungen auf die Umwelt. 2015 hatte er die Aufdeckung des Skandals um manipulierte Diesel bei Volkswagen ins Rollen gebracht. Für die aktuelle Studie hatte der ICCT zusammen mit Forschern der privaten George Washington Universität und der Universität von Colorado in Boulder Feinstaub der Größe PM 2,5 und Ozon betrachtet.

Die ICCT-Zahl der frühzeitigen Todesfälle durch Feinstaub und Ozon für Deutschland von 43.000 liegt deutlich unter Berechnungen des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie: Demnach kommen jährlich sogar rund 120.000 Menschen pro Jahr allein wegen Feinstaub vorzeitig ums Leben. Dieser stamme zu 45 Prozent aus der Landwirtschaft. Die EU-Umweltbehörde
EEA kommt für 2014 auf 66.000 vorzeitige Todesfälle durch Feinstaub, das Umweltbundesamt für 2015 auf 41.000. Als exakter als die Zahl der vorzeitigen Todesfälle gilt in der Forschung die Zahl der verlorenen Lebensjahre durch einen Risikofaktor. Dazu gab es unter anderem in der ICCT-Studie aber keine Zahlen für Deutschland. Doch was steckt hinter den Unterschieden bei den Todesfällen?

Solche Berechnungen wurden vor allem in der Debatte um Stickoxide und Fahrverbote in Städten zuletzt immer wieder kritisiert. Unter anderem hatte der Lungenfacharzt Dieter Köhler solche epidemiologischen Studien recht pauschal angegriffen. Zuletzt hatte der Mathematiker Peter Morfeld in der ARD-Sendung «Plusminus» die Berechnungsgrundlage des Umweltbundesamtes in einer ähnlichen Studie kritisiert. Das Umweltbundesamt (UBA) hatte die Kritik nach einer Prüfung zurückgewiesen – seine Ergebnisse zu Stickoxiden, die vom Helmholtz Zentrum München vorgelegt worden waren, besäßen nach wie vor ihre Gültigkeit.

Susanne Breitner vom Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München hat eine Erklärung für die unterschiedlichen Werte: So werde etwa bei der Schadstoffbelastung auf unterschiedliche Modellierungen zurückgegriffen. «Auch die Risikoabschätzung kann unterschiedlich ausfallen, je nachdem auf welche epidemiologischen Studien man sich bezieht», sagt sie. «Das Vorgehen bei den Berechnungen ist immer das gleiche.»

Dabei wird etwa das Gebiet Deutschlands in so genannte Rasterzellen eingeteilt. In die Berechnung gehen dann die dort ermittelten Jahresmittelwerte für bestimmte Schadstoffe ein. Die einzelnen Gebiete werden in Belastungsklassen eingeteilt und die Zahl der dort lebenden Menschen hinzugezogen. Mit Hilfe epidemiologischer Studien wird dann das Gesundheitsrisiko in der jeweiligen Belastungsklasse geschätzt.

Ein zentraler Baustein ist laut Umweltbundesamt eine mathematische Formel zur Berechnung der sogenannten «Population Attributable Fraction» (PAF). Mit der Formel wird ein Wert ermittelt, der angibt, wie groß der Anteil von Todesfällen ist, der auf einen Risikofaktor zurückgeführt werden kann, heißt es beim Umweltbundesamt.

Letztlich handelt es sich dabei um eine statistische Abschätzung, stellt das Umweltbundesamt klar. «Die so ermittelten Zahlen sind als Indikatoren für den Gesundheitszustand der Gesamtbevölkerung zu sehen», heißt es auf der Webseite. Es handele sich dabei keinesfalls um klinisch identifizierbare Todesfälle, die auf einen bestimmten Luftschadstoff zurückgeführt werden können.

Die ICCT-Forscher stützen sich unter anderem auf einen großen Pool aus Daten von Satelliten und Messstationen weltweit und der Abschätzung der Gesundheitsfolgen des Projekts Global Burden Disease. Feinstaub und Ozon seien die wichtigsten Schadstoffe aus dem Verkehrsbereich, teilte der Geschäftführer des ICCT-Europa, Peter Mock, mit. «Stickoxid-Emissionen gehören auch mit dazu, deren direkte Gesundheitswirkung kann jedoch unserer Einschätzung nach mit den aktuellen Modellen noch nicht ausreichend gut quantifiziert werden.» Stickoxid sei jedoch eine Vorläufersubstanz von Feinstaub und Ozon und damit indirekt mit berücksichtigt.

Fotocredits: Marijan Murat
(dpa)

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