Was Künstliche Intelligenz in der Medizin kann

Berlin – Dr. Data in die Notaufnahme: Für Dietmar Frey ist das keine Science-Fiction. Der Neurochirurg an der Berliner Charité und sein Team tüfteln an Rechnern mit Künstlicher Intelligenz, die einer Behandlung von Patienten mit akutem Schlaganfall zugute kommen soll.

«Das ist mehr als eine Idee. Wir haben die Technik, einen Prototypen und erste Machine-Learning-Modelle», sagt Frey. Wenn 2019 das Wissenschaftsjahr mit dem Schwerpunkt Künstliche Intelligenz beginnt, wird es in der Medizin um solche Fragen gehen wie: Was können Computer – und wo bleiben Ärzte unersetzlich?

Suche nach der richtigen Therapie

Rund 270.000 Bundesbürger trifft jedes Jahr «der Schlag». Dann rennt die Zeit. Wird das Gehirn nicht ausreichend mit Blut und Sauerstoff versorgt, stirbt Gewebe ab. Die Folgen können dramatisch sein, Sprachausfälle und Lähmungen drohen.

Ärztliche Leitlinien in Deutschland besagen, dass das betroffene Hirngewebe nach viereinhalb Stunden tot ist und Nebenwirkungen einer Therapie noch mehr Schaden anrichten können – Blutungen im Kopf zum Beispiel. Deshalb werde nach viereinhalb Stunden nicht mehr therapiert, sagt Frey. «Das mag statistisch korrekt sein, für den individuellen Patienten ist das jedoch nicht immer die richtige Therapie.»

Er vermutet, dass Therapien in bestimmten Fällen auch nach viereinhalb Stunden noch Sinn machen – und in anderen vielleicht schon nach zwei Stunden nicht mehr. Aber wie weiß man, für wen was gilt?

Muster bei Schlaganfällen erkennen

Für Frey ist die Antwort klar: Eine Maschine könnte in Minutenschnelle tausende Vergleichsdatensätze zu Schlaganfällen durchsuchen. Sie abgleichen und Muster aufzeigen, die einem Arzt in der Rettungsstelle bei der Entscheidung helfen könnten. Ein Job für Dr. Data. Für KI in Datenbanken und Rechnern, die trainiert werden, nach programmierten Mustern zu fahnden.

Künstliche Intelligenz könnte Ärzte in ganz unterschiedlichen Bereichen unterstützen, sagt Felix Nensa, Radiologe und Informatiker an der Uniklinik Essen. Vor allem aber dort, wo der Mensch eine Fehlbesetzung sei: bei langweiligen und ermüdenden Tätigkeiten wie der Tumorvermessung oder auch beim Speichern und Scannen tausender Bild- und Textdateien.

Sinnvolles Programmieren ist eine Kunst, auch in der Medizin. «Man braucht ausreichend große Trainingsdaten-Sets und muss Variabilität abbilden können», sagt der Bioinformatiker Benedikt Brors am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Sei ein Datensatz zu klein, könne der Rechner zum Beispiel Muster bei sehr seltenen Tumorerkrankungen nicht erkennen.

Hilfe bei der Tumordiagnose

Das DKFZ entwickelt seit zehn Jahren ein KI-System, das anzeigen soll, ob Neuroblastome – sehr seltene Tumore bei Kindern – aggressiv sind oder eher harmlos. Davon hängt die Therapie ab. Doch es wird noch dauern mit der klinischen Erprobung. Die Anforderungen für eine Zertifizierung seien extrem hoch, sagt Brors.

Dietmar Freys Rechner an der Charité haben bereits über 1400 Schlaganfälle geladen. Patientenschicksale, anonymisiert und heruntergebrochen auf Formeln. Es geht um Angaben zu Alter, Geschlecht, Gewicht, Rauchgewohnheiten, Vorerkrankungen, genommenen Medikamenten und Laborwerten.

Freys Plan ist es, diesen Datenschatz abrufbereit in der Notaufnahme zu haben, wenn ein neuer Patient mit akutem
Schlaganfall eingeliefert wird. So soll sich direkt prüfen lassen, ob es vergleichbare Ausprägungen eines Schlaganfalls gab, wie verfahren wurde und ob das half.

Schnelle Informationen

Die Ergebnisse soll der Computer binnen Minuten ausspucken – damit die behandelnden Ärzte die beste Therapie für den Patienten finden können, der gerade vor ihnen liegt. «Ein Arzt hat heute weder die Zeit noch die Kapazitäten, in der Notaufnahme Aktenberge für Vergleiche zu wälzen. Und im Kopf haben und berechnen kann er das alles schon gar nicht.»

In Essen baut Mediziner Nensa Bilddatenbanken auf: CT- und Röntgenbilder von Lungenleiden samt klinischen Daten. «Wir haben immer wieder neue Fälle», sagt er. «Dann gucken wir uns die neuen Bilder dazu an und denken manchmal: Puh, was ist das denn jetzt?» Mit einer KI-Datenbank könnte man leicht prüfen, ob es schon mal einen ähnlichen Fall gab – und hätte direkt Zugang zu dessen Diagnose und Therapie.

«Solche KI ist für mich die erste Welle von Tools, die den Arzt entlastet», resümiert er. «In fünf bis zehn Jahren wird es mehr von diesen Tools geben. Der Beruf des Arztes wird sich verändern – mehr in Richtung Zusammenführen und Interpretieren von Daten», vermutet Nensa.

Noch gibt es viele Grenzen bei KI. Eine Maschine könne bisher zum Beispiel regelbasiertes Wissen aus Leitlinien reproduzieren. «Was sie noch nicht hat, ist Kreativität oder Intuition», sagt Brors. Menschen hingegen könnten auch mal um die Ecke denken.

Fotocredits: Stephan Jansen
(dpa)

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